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Flamenco auf Spanisch

Wer als Flamenco- Tänzerin aufritt wird häufig gefragt: „Woher können Sie Flamenco, sind Sie Spanierin?“ Wenn ich ehrlich bin, sage ich dann „Nein ich bin keine Spanierin, ich musste dafür üben.“ Oft kommt dann: „Oh, dafür war das aber wirklich gut. Wissen, Sie ich habe schon einmal einen echten Flamenco in Spanien gesehen- Sie haben das genauso gut gemacht wie die Spanierinnen dort.“ Ich weiß dann nicht, ob ich mich geschmeichelt fühlen sollte, weil die Person ja schließlich „echten“ von  „unechtem“ Flamenco unterscheiden kann, obwohl ich, und vermutlich sie selbst, die Kriterien dafür nicht kenne. Anfangs war ich immer recht pikiert, denn man kann auch Flamenco können, ohne dass man Spanierin ist und ohne damit geboren zu sein.
Schließlich ist das meiste nicht Talent, sondern Ausdauer und Training. Es ist ja auch fraglich, ob jede Spanierin, nur weil sie Spanierin ist automatisch Flamenco kann. Immerhin kann auch nicht jeder Bayer jodeln oder platteln!

„Echter Flamenco in Jerez“

Will man also als Flamencotänzerin ernst genommen werden, muss man schon wenigstens einmal einen Flamenco- Kurs in Spanien absolviert haben.
Also schrieb ich mich für die Zeit meines Urlaubes in einen Flamenco- Kurs in Jerez ein. Jerez sei die Wiege des Flamencos, also ist dort wohl ein guter Platz um echten Flamenco zu lernen.
Ich komme zwar einen Tag später an als der Kurs beginnt, dafür bin ich bin eine Stunde zu früh dran, weil ich einkalkuliert habe, nicht hinzufinden, nachdem wir uns dauern in Jerez verirren. Zur Tanzschule haben wir aber auf Anhieb gefunden. Dank Stadtplan. Gut dass wir uns sonst verirren, und ich deshalb heute zu früh dran bin, denn der Kurs beginnt nämlich heute eine viertel Stunde früher. Er hat gestern nicht stattgefunden. Die Tanzlehrerin hat den Tag verwechselt und lag gestern noch am Strand. In der Garderobe spricht mich eine Spanierin an, wie ich heiße und woher ich sei. Nachdem ihr wohl zu mühsam war mein spanisches Gestöpsle zu verstehen, spricht sie Englisch mit mir weiter. Sie heißt Carla sagt sie und sie wohnt in London. Wir gehen in den Kursraum.
Der Kursraum dampft noch vom vorherigen Kurs, im Eck raucht es, nach genauerem Hinsehen sehe ich, dass die Klimaanlage dampft. Draußen hat es 36 Grad, hier drin vermutlich 40. Nach 10 Minuten ist es allerdings etwas kühler. Es sind schon einige da, die verständnislos auf meine Füßlinge starren, die aus meinen Schuhen herauslugen. Sie sind weiß und mit Spitze und wenn ich jetzt so hinschaue, sieht es aus, wie bei meiner Großmutter, als sie Bettschuhe anhatte.

Heiße Füße, rauchender Kopf beim Warm up

Die Lehrerin beginnt das Warm up in einem Tempo, das für mich eigentlich Höchstgeschwindigkeit darstellt. Mit meinem mikrigen Spanisch verstehe ich kein Wort was die Lehrerin sagt, und verstecke mich ganz hinten, damit sie mich nicht sieht und anspricht. Es wäre sowieso egal was sie sagt, ich könnte die Schritte trotzdem nicht. Der Weg vom Hirn zu den Füßen ist einfach zu weit, um das alles gleich so schnell zu können.
Um die Uhrzeit, zu der der Kurs eigentlich beginnen würde, könnte ich bereits wieder aufhören. Ich bin durchgeschwitzt wie ich sonst nach einer Stunde joggen schwitze. Eindeutig, ich jogge zu langsam. Ich komme bereits jetzt nicht mehr mit, weil ich mir das alles gar nicht merken kann. Alle anderen tanzen munter die Schritte mit und es sieht aus, als würden die alles total schnell kapieren. Ich glaube, ich bin schwer von Begriff. Nach dreißig Minuten denke ich mir, dass ich jetzt eigentlich gehen könnte, was ich nun schon alles gelernt habe, reicht sowieso für die nächsten 6 Monate um es ordentlich zu verinnerlichen.
Eine tanzt schon fast mit, während die Lehrerin die Schritte nur zeigt. Ganz vorne tanzt eine ganz junge auch ziemlich fehlerlos und ohne Lücken mit. Sie heißt Martha. Die Lehrerin meint es gut mit uns und macht auch noch fünfzehn Minuten länger Unterricht. Obwohl ich eigentlich schon nach der Halbzeit völlig am Ende war, habe ich doch bis zum Ende mitgemacht.
Wenigstens sind die anderen genauso erledigt wie ich. Mein T- Shirt ist so nass, als hätte ich es eben aus der Waschmaschine geholt. In der Garderobe komme ich mit einer Engländerin ins Gespräch. Sie sagt, sie kommt bereits das dritte Jahr hierher und ihr ging es am Anfang wie mir, aber es bringt einen weiter.

Immer cool bleiben!

Vor der Tür wartet mein Mann und hat sich gleich munter mit Carlas Freund unterhalten. Er ist Engländer und lebt mit Carla in London. Zurzeit sind sie zu Besuch hier, Carla ist von hier. Als die Türe der Tanzschule zugesperrt wird, bemerke ich, dass ich meine Tasche vergessen habe. Mit allem Geld und Pass. Die Tanzschulcheffin sperrt noch mal auf, damit ich meine Tasche holen kann.
Am zweiten Tag freue ich mich, dass ich wenigstens den Anfang noch kann, aber dann geht es auch schnell weiter und ich merke mir nur die Hälfte. Heute denke ich mir, dass das Prinzip der Schritte schnuppe ist, ich mogle mich einfach durch, Hauptsache es klingt wie bei den anderen und ich stehe zur richtigen Zeit still und kapiere die Armbewegungen. Nach zwanzig Minuten hab ich genug, ich wäre froh wenn nun endlich die Stunde um wäre. Ich kann nichts mehr und komm mir mit meinem Geschwitze und Getrappel vor wie ein Kutschpferd. Die links neben mir heißt Marie- Rosa und kommt aus Barcelona. Sie kann kein Englisch und ich kaum Spanisch, dafür verstehen wir uns gut. Sie hat in Barcelona eine Flamenco- Schule und kommt jedes Jahr hierher und kennt die Schritte bereits.
Außer mir und der Engländerin sind alle Spanierinnen. Nach dem Kurs schwitze ich vor der Türe fertig und Carla empfiehlt uns zur Erholung am den Strand von Conil zu fahren. Die Tanzlehrerin ist ganz offensichtlich mit den zwei schnellen jungen Spanierinnen befreundet. Sie gehen zusammen zum Auto. Ich bemerke, dass ich meine Tasche schon wieder drinnen vergessen habe, Carla ruft der Tanzlehrerin nach, dass sie die Türe noch mal öffnen soll. Wir nehmen Carla mit in die Stadt. Sie erzählt, dass ihr Freund heute wieder nach London zurück musste. Früher war sie bereits bei dieser Lehrerin wöchentlich im Kurs, und seit sie in London ist, kommt sie alle Ferien her und macht die Kurse bei ihr mit. Eigentlich ist sie Grundschullehrerin aber weil sie hier keinen Job bekommt, arbeitet sie als Nanny in London und verdient sich mit Flamenco- Unterricht etwas dazu. Sie meint, dafür, dass ich noch nie in Spanien Flamenco gelernt habe, mache ich es gut. Sie kennt die Schritte ja bereits.

Am dritten Tag tanzt ein junger Spanier vor dem Spiegel herum. Er hat ein T- Shirt mit der Aufschrift „Taxi“ an, und wird von zwei Touristinnen fotografiert. Er hopst hier nur für´s Foto rum, im Kurs ist er nicht. Die Lehrerin sagt, sie würde nun gerne mit dem Unterricht beginnen, ob sie woanders weiter fotografieren können. Ich kann das Gelernte von gestern nicht mehr und das Neue kann ich erst recht nicht. Nach 40 Minuten habe ich die Schnauze voll und überlege, ob ich einfach gehen soll. Ich bleibe, weil es gerade so spannend ist. Die Lehrerin zeigt nämlich einen Schritt, den ich super eindrucksvoll finde. Sie sagt das sei für Bulerías "muy typico". Leider kapier ich ihn nicht. Ich erfahre später, dass alle hier außer der Rosa- Marie, Carla und der Engländerin im wöchentlichen Kurs sind, und dass alle diese Schritte schon kennen. Damit kann ich mit mir doch zufrieden sein. Ich schwitze vor der Türe aus und vergesse wieder meine Tasche. Als die Tanzlehrerin schon beim Gartentor ist, ruft ihr Carla nach, das sie nochmal aufschließen soll.

Die Luft ist raus

Ich habe blaue Flecken auf den Oberschenkeln vom Patschen auf die Schenkel und glaube es würde eigentlich reichen mit dem Kurs. Ich überlege täglich, ob ich mir diese Qual nun schon wieder antun soll schließlich habe ich Urlaub. Aber ich gehe trotzdem immer wacker zum Kurs, schließlich bin ich konsequent und zielstrebig. Heute habe ich erst nach 60 Minuten die Schnauze voll. Ich traue mich nicht eine Minute zu schwänzen, ich könnte dann schon drei Schritte versäumen. Deshalb trinke ich keinen einzigen Schluck Wasser und trockne mein Gesicht nicht mit dem Handtuch, denn beim Wischen über das Gesicht könnte ich etwas nicht sehen, was sie gerade zeigt. Ich muss mir alles durch das Zuschauen erschließen, denn was sie sagt verstehe ich nicht. Ich glaube, die Lehrerin weiß gar nicht, dass ich sie nicht verstehe, denn ich frage ja nichts und bin immer still. Manchmal schüttle ich nur den Kopf, wenn ich was kapiert habe nicke ich und wenn ich es sogar kann, lächle ich. Wahrscheinlich meint sie, ich bin taubstumm. Ich bin immer einen Schritt hinterher, denn bis ich kapiere, was wir machen, sind die anderen schon weiter. Bei den Schritten, die ich absolut nicht kann, stelle ich mich hin und überbrücke die Zeit mit strengem Geschaue und setze dann wieder ein, wenn ich weiß was kommt. Ich vergesse wieder meine Tasche, und bemerke es heute schon früher, während die Lehrerin zuschließt.
Am letzten Tag habe ich einen Kater. Leider habe ich am Abend zuvor drei Fino getrunken. Man ist davon dicht, aber man merkt es nicht. Eigentlich bekommt man vom Fino keinen Kater.  Aber mir ist so übel, dass ich weder Kaffee noch Wasser trinke. Ich esse nichts und lege mich wieder hin. Ich will nicht zum Kurs gehen, ich habe genug gelernt, alle anderen können das, weil sie schon seit Jahren den Kurs machen und ich humple immer hinterher. Ich bin todkrank, wahrscheinlich sterbe ich jetzt. Und Flamenco ist sowieso Scheiße. Ich will nie wieder etwas mit Fino oder Flamenco zu tun haben. Überhaupt dieses Spanien! Mein Mann sagt, ich dürfte doch am letzten Tag nicht schlapp machen, ich müsste mich schon verabschieden. Gut, ich gehe hin. Die Engländerin hat Schmerzen in der Hüfte und macht Yogaübungen. Carla sagt, man nennt den Kater auf Spanisch „ressaca“, ich würde das beim Tanzen herausschwitzen.

Diplome muss man sich verdienen

Die eine schnelle junge Spanierin ist nicht da. Rosa- Marie geht nach fünfzehn Minuten wieder, sie hat blutige Blasen an den Füßen. Ich liebe meine weißen Füßlinge. Um die Uhrzeit, um die ich normaler Weise genug habe und gehen will, ist heute mein Kater weg . Carla geht eine viertel Stunde vor Schluss, sie muss ihre Mutter zum Arzt fahren. Heute gibt es die Diplome, sagt die Tanzschulcheffin. Die schnelle junge Spanierin kommt 10 Minuten vor Schluss in Plateau- Schuhen, sie möchte heute nicht tanzen, nur das Diplom abholen. Die Lehrerin spricht etwas zu uns ich verstehe kein Wort, ich vermute sie sagt etwas Tröstendes. Ich frage die Engländerin, was sie sagt, und sie sagt, dass die Lehrerin sagt, es wird schon noch, wenn man es immer wieder anwendet. Was ich aber schon kapiere, ist, dass man nun die Choreographie vortanzen muss, um das Diplom zu bekommen. Die, die vorher gegangen sind, haben das Diplom mitgenommen. Martha tanzt alleine. Die anderen kneifen, in dem sie filmen, oder in Plateauschuhen da stehen. Ich will auch kneifen, habe aber kein Handy um zu filmen. Ich stehe in der Ecke und schaue auf den Boden, in der Hoffnung die Lehrerin übersieht mich ganz einfach. Die Lehrerin fordert mich und die Engländerin auf, wir müssen vortanzen. Martha tanzt mit, wir können auf sie schauen. Wir quälen uns durch die gesamte Bulería und sind stolz auf uns. Immerhin waren wir die einzigen, die sich das Diplom bis zum Ende verdient haben. Es steht "Certifica" drauf aber wird "Diploma" genannt. Und weil ich das Diplom in der Tasche habe, denke ich sogar daran, die Tasche heute mitzunehmen. Und ich war die einzige, für die diese Schritte völlig neu waren. Nun kann ich sagen, ich habe in Jerez Flamenco gelernt. Vor allem schnell!
Als ich nach dem Urlaub  meiner Mutter erzähle, wie schwer der Kurs war, will sie mich trösten: “Naja, ist ja auch kein Wunder. Bisher hast du ja noch keinen echten Flamenco gelernt.“

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